BEWUSST: Lebenserfahrung online und offline

Wie gut, dass es eine Zeit im Jahr gibt, zu der wir mal still sein, zur Ruhe kommen, Abstand gewinnen und inne halten dürfen. Diesen Beitrag habe ich trotz Klausuren-Phase geschrieben, denn ich hatte das Gefühl, es war wichtig meine Gedanken zu sortieren und nieder zu schreiben.

Rastlos

In den Wochen vor Weihnachten war ich ein Jongleur im Hamsterrad. Auf heißen Sohlen jonglierte ich mit Terminen, Aufgaben, Nachrichten, Prioritäten, Plänen, Partys und Events und rannte so schnell, dass ich nicht mehr sagen konnte, was gestern war. Ich stand früh auf, ging spät ins Bett, es gibt doch noch so viel zu tun und zu sehen!

Überall und doch nicht hier

Eigentlich war ja alles gut. Mein Studium hat mir Spaß gemacht, Freunde, Musik, Arbeit, ein Dach über dem Kopf… Aber in der letzten Zeit hatte ich immer öfter gemerkt, dass ich nicht mehr richtig bei der Sache war. Es gab so unglaublich viele schöne Momente. Doch irgendwie konnte ich den Moment nie richtig genießen. Kurz gesagt: Ich hatte ein echtes Luxusproblem.

Eine Verhalten von mir hat mich außerdem stutzig gemacht: Bestimmt über zwei Wochen lang habe ich es nicht auf die Reihe gekriegt, die Haustür hinter mir zu schließen. Immer war ich vollbepackt ins Haus reingerauscht und mit den Gedanken ganz woanders.

WhatsApp Overload

Das Kommunizieren mit Menschen überall auf der Welt wird immer leichter. Wir sind nur einen Klick voneinander entfernt. Ich hatte das Gefühl das Kommunikationsaufgebot auf WhatsApp stieg vor Weihnachten nicht linear, sondern exponentiell. In manchen Momenten hätte ich meinen treuen, sozialen und sehr smarten Weggefährten am liebsten an die Wand geschmissen.

Am Heiligen Abend fragte ich mich: Muss ich auf jeden WhatsApp-Weihnachtsbaum antworten?

Abstand nehmen

Was macht man, wenn es einem zu viel wird? Abstand nehmen. Genau das habe ich getan und eine Woche in der Ferne ohne Internet geplant. Verpasse ich was? Was denken meine Freunde, wenn ich mich nicht melde? Finde ich mich überhaupt ohne Internet zurecht?

Zeit für Lebenserfahrung

Das erste Lichtlein leuchtete in meinem Kopf auf, als ich meine Großtante besuchte.  Im Gespräch wurde mir siedend heiß bewusst, wie wichtig solche Besuche sind. Es ist kurios: Manchmal machen wir unsere Welt klein. Wir tauchen so selbstverständlich in unsere digitalen Sphären ab, schwimmen mit dem Fluss und sehen darin die Wirklichkeit. Doch nicht alles ist in der digitalen Welt zu finden. Das Gedankengut ganzer Generation voller Lebenserfahrung kann man nicht in Google suchen.

Smartphones oder Stopp-Schilder

Egal wo auf der Welt, ich liebe Hostel-Gespräche. Ich finde Hostels sind der beste Ort, um unverfälschte Lebenserfahrung mit den unterschiedlichsten Menschen auszutauschen. Eines Abends saßen zwei kichernde Frauen mit ihren Smartphones, ein etwas ungepflegter Herr mit Gitarre und eine unscheinbare Frau mit einem Reiseführer in der Hand im Gemeinschaftsraum. Mit wem hatte ich wunderbar interessante Gespräche? Nicht mit den zwei Frauen mit Smartphone. Die wollte ich intuitiv nicht stören.

Kommunikation fühlen

Ich liebe die Möglichkeiten der digitalen Kommunikation, solange wir sie von der realen Begegnung unterscheiden können. Schreiben kann man viel, sich zu begegnen ist einzigartig. Nur face-to-face kann man seinen Gesprächspartner mit allen Sinnen wahrnehmen und läuft nicht Gefahr sich seinen Wunschpartner zu projizieren oder leere Worte ernst zu nehmen. Gesichtsausdrücke, Gesten, Geruch, Sprache, Blicke, Berührung – das zählt.

Zeit für Details

Silvester habe ich mit einem Freund in Dublin verbracht, nur zu zweit. Wir haben uns einfach treiben lassen, ohne richtigen Plan. Es war wunderschön. Wohingegen ich besonders in der Zeit vor Weihnachten viele schöne Momente vergessen habe, kann ich meine Zeit in Dublin komplett im Gedächtnis rekonstruieren. Ich kann mich an unglaublich viele Details erinnern. Weniger ist mehr.

Internetsucht

Klar habe ich mich nach meiner internetlosen Woche wieder auf die digitalen Sphären eingelassen, obwohl es mir auch gut ohne ging. Das Netz birgt enorme Möglichkeiten und Chancen, die es zu gestalten gilt.  Wichtig ist, dass wir uns ab und zu zurückbesinnen.
Wir sind (noch) immer geerdet.

„Computerkabel kannst du so viele fressen wie du willst. Davon wirst du nicht satt.“
Zitat aus dem Film „Speed“ von Florian Opitz

Kostbare Momente

Kostbar sind nicht die Anzahl unserer WhatsApp-Nachrichten, sondern eine Schulter zum ausweinen, der überraschte Freudenschrei eines Freundes, das Lächeln deiner Mitbewohnerin am Frühstückstisch, das verschmitzte Grinsen deines Opas, der vertraute Geruch deiner Eltern, Versöhnungsgespräche nach einem Streit, nächtliche Diskussionen auf der Parkbank, das Gespräch auf skype mit deiner Schwester in der Ferne, eine Berührung…

Die Früchte meiner kleinen Auszeit sind weise Lebenserfahrung, Funken innerer Ruhe, Lebensfreude, Wissensdurst und mein Kommunikationsplan für 2015.

Ein Gedanke zu “BEWUSST: Lebenserfahrung online und offline

  1. Hi sonya,
    dabnke fuer Deine ausfuehrungen. Es war mutig zur Stille zu finden und es hat sich gelohnt. Ich wuensche dir diese Erfahrung auch im Trubel, der Dich wieder umringt.
    Bei mir ist es ein Liedvers seit gestern, indem ich das ausdruecke was auch du suchst. „give me oirl in may lamp, give me burning, give me oil in my lamp I pray . . . repeat goive my oit till the end of day.
    Da kommt dann noch der mittelpunkt des Alls dazu, Jusus!
    mals ehen ob das jetzt bei dir ankommt. Ich wurde bei meinem letzten Beitrag durch telephon gestoert und dann ist alles abgehausen.
    Tschuess,
    Deine Ruth

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